8,5 Prozent mehr Geld. Eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 32 Stunden, bei vollem Entgeltausgleich. Sowie die Fortführung der Altersteilzeit. Diese Forderungen empfehlen die Tarifkommissionen in der Stahlindustrie Nordwest und Ost für die im November startenden Tarifverhandlungen.

Nach der Tarifkommission der nordwestdeutschen Stahlindustrie gestern hat heute auch die Tarifkommission der ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie ihre Forderungsempfehlungen an den IG Metall-Vorstand beschlossen: 8,5 Prozent mehr Geld. Und eine Verkürzung der Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden in der Woche, bei vollem Entgeltausgleich.

32 Stunden als Einstieg in die 4-Tage-Woche

„Diese Arbeitszeitverkürzung wäre damit der Einstieg in die 4-Tage-Woche, die dadurch in vielen Bereichen möglich wird“, erklärt Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW und Verhandlungsführer in der nordwestdeutschen Stahlindustrie.

Grafik: Das fordert die IG Metall zur Stahltarifrunde 2023

Darüber hinaus sollen die Tarifverträge zur Altersteilzeit, über den Einsatz von Werkverträgen und zur Beschäftigungssicherung für die über 80.000 Beschäftigten verlängert werden. Das Ergebnis soll zudem eine mitgliederorientierte soziale Komponente enthalten. Am 18. September wird der Vorstand der IG Metall die endgültige Tarifforderungen für die Stahl-Tarifrunde 2023 beschließen.

IG Metall befragte über 11.000 Beschäftigte

Die Tarifforderungen der Tarifkommissionen sind Ergebnis der Diskussion unter den IG Metall-Mitgliedern in den Betrieben und auf Versammlungen. Darüber hinaus hat die IG Metall über 11.000 Beschäftigte befragt.

Angesichts der immer noch hohen Inflation ist den Beschäftigten mehr Geld besonders wichtig. 72 Prozent gaben an, dass für sie eine Entgelterhöhung wichtig sei, um die Haushaltskasse zu stabilisieren.

„Die Kolleginnen und Kollegen in den Stahlbetrieben erwarten völlig zu Recht einen Ausgleich für die rasant gestiegenen Lebenshaltungskosten. Jeden Tag spüren die Beschäftigten die anhaltende Inflation beim Einkaufen, Tanken oder der Urlaubsbuchung“, erklärt Dirk Schulze, IG Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen. „Mit harter und hochwertiger Arbeit sorgen die Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter gleichzeitig dafür, dass die Stahlindustrie durch schwierige Zeiten kommt. Sie verlangen eine dauerhafte Erhöhung ihrer Einkommen. Eine einmalige Zahlung kann eine langlebige Inflation nicht ausgleichen.“

Arbeitszeitverkürzung sichert Arbeitsplätze

Zudem sagten 75 Prozent (Grafik) der befragten Beschäftigten, dass das Thema Arbeitszeitreduzierung bei vollem Entgeltausgleich „eher wichtig“ oder „wichtig“ sei. 69 Prozent der Befragten sehen darin ein wichtiges Instrument zur Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung.

„Die Stahlindustrie steht aufgrund der Transformation zu grünem Stahl vor großen Herausforderungen“, erkärt Nordwest-Verhandslungsführer Knut Giesler. „Nach einer Übergangsphase, in der mit der alten und neuen Technologie Stahl produziert wird, kommt es in einigen Jahren zum Druck auf Beschäftigung. Dann braucht es ein Instrument, damit Beschäftigte ihren Arbeitsplatz behalten können. Hier spielt die Arbeitszeitverkürzung eine herausragende Rolle. Die vorhandene Arbeit wird auf mehr Schultern verteilt und sichert Beschäftigung.“

Kürzere Arbeitszeiten sind Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte

Zunächst jedoch wird die Transformation den Fachkräftebedarf verstärken. Auch bei der Suche nach Fachkräften hilft die Arbeitszeitverkürzung: Zahlreiche Untersuchungen aber auch Gespräche in den Betrieben zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem gerade für junge Menschen eine sehr große Bedeutung hat. Kürzere Arbeitszeiten sind gewünscht und daher ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Branchen, wenn es um die Gewinnung neuer Mitarbeiter geht.

Darüber hinaus bietet die IG Metall im Rahmen der Verhandlungen den Arbeitgebern Gespräche darüber an, welche tariflichen Regelungen zur Förderung der Ausbildung in der Eisen- und Stahlindustrie geschaffen werden können.

Kürzere Arbeitszeiten sind gesünder und produktiver

Auch unter anderen Aspekten führe die Arbeitszeitverkürzung zu einer Win-Win-Situation für Beschäftigte und Unternehmen, betont Giesler. Lange Arbeitszeiten verursachen bei vielen Beschäftigten Stress und gesundheitliche Beschwerden. Auf der einen Seite sei damit eine Arbeitszeitverkürzung für die Beschäftigten gesundheitsförderlich, da sie mehr Zeit für Erholung biete und stressreduzierend wirke. Das führe auf der anderen Seite für Unternehmen zu weniger Krankheitsausfällen und einer erwiesenermaßen höheren Produktivität.

Zudem bliebe für Beschäftigte bei einer reduzierten Wochenarbeitszeit mehr Zeit für Familie, Freunde oder Hobbys. Dies steigere auf der einen Seite die Lebensqualität der Beschäftigten. Auf der anderen Seite führe die höhere Zufriedenheit der Belegschaft zu mehr Motivation, Engagement und einer besseren Atmosphäre am Arbeitsplatz.

Stahlindustrie kann es sich leisten

Die Stahlbranche kann sich höhere Entgelte leisten. Tatsächlich sind die Umsätze in der Stahlindustrie in den letzten Jahren deutlich gestiegen und haben 2022 sogar das Niveau vor der Corona-Krise der Spitzenjahre 2018 und 2019 um über 30 Prozent übertroffen (Grafik).

Zugleich verdienen die Unternehmen auch gut: Die Stahlpreise sind seit Beginn der Corona-Krise 2020 um über 50 Prozent gestiegen. Währenddessen sind jedoch die Kosten der Unternehmen für Rohstoffe wie Eisenerz, Kohle und Gas zuletzt wieder gesunken. Und die Rohstoffpreise werden nach Prognose der Weltbank und anderer Institute weiter nach unten gehen.