Bei den gesetzlichen Krankenkassen klafft für 2021 eine Finanzlücke von rund 16 Milliarden Euro. Woher kommt das Defizit?
Hans Jürgen Urban: Das Defizit ist nur zum kleinen Teil durch die Coronakrise bedingt. Es sind vor allem teure Gesetze von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die die Krankenkassen finanziell stark belasten werden – nicht nur 2021, sondern über die nächsten Jahre. Dazu gehören das sogenannte Terminservice- und Versorgungsgesetz und das Digitale-Versorgung-Gesetz. Beide Gesetze bringen vor allem mehr Geld für Ärzte und Entwickler von Gesundheits-Apps, ohne eine Verbesserung der Versorgung für die Versicherten zu garantieren.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Finanzlücke mit drei Maßnahmen schließen: Mehr Geld vom Bund, ein höherer Zusatzbeitrag und vor allem: Ein Griff in die Rücklagen der Krankenkassen. Ein guter Weg?
Die Finanzierung ist höchst wackelig und nicht nachhaltig. Es handelt sich um ein kurzfristiges, politisch motiviertes Auf-Sicht-Fahren im Jahr der Bundestagswahl. Vor allem geht es darum, zu verhindern, dass die Sozialversicherungsbeiträge über 40 Prozent steigen. Auf längere Sicht ist das Gesundheitssystem strukturell unterfinanziert – nicht nur, aber auch wegen Spahns Gesetzgebung. Dieses Problem bleibt ungelöst. Ich fürchte, dass früher oder später die Debatte über Leistungskürzungen oder höhere Zusatzbeiträge ins Haus steht. Darauf müssen wir uns vorbereiten und Alternativen formulieren.
Was schlägt die IG Metall vor?
Wir wollen unser Gesundheitssystem langfristig auf stabile Füße stellen. Für uns steht dabei eine gute Versorgung für die Versicherten im Mittelpunkt. Die Krankenkassenbeiträge sollen genutzt werden, um das zu garantieren. Das bedeutet zum einen: Prüfen, wie sich die Gesetzgebung der letzten Jahre auf die Gesundheitsversorgung auswirkt.
Und zum anderen?
Generell setzen wir uns für ein Gesundheitssystem ein, das Menschen unabhängig von Einkommen, Alter und Wohnort gut versorgt, durch einen ausgeweiteten Leistungskatalog der Krankenkassen. Alle sollen gleichermaßen am medizinisch-technischen Fortschritt teilhaben. Das lässt sich auch finanzieren: durch eine Bürgerversicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einzahlen. Das würde für nachhaltige und stabile Finanzen sorgen. Eines zeigt die Coronakrise sehr deutlich: Ein gut finanzierter Sozialstaat ist kein unnötiger Luxus, wie Arbeitgebervertreter gerne behaupten, sondern ein wichtiger Anker und Stabilisator. Der Sozialstaat ist mehr wert, als er kostet!